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Der Wunsch nach Helden

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Blog-Artikel überhaupt verfassen soll, zeichnet er in der aktuellen Lage doch ein weitaus komplexeres Bild über Wolodymyr Selensky. Ohne Frage imponiert mir der ukrainische Präsident in der schrecklichen Kriegs- und Bedrohungslage. Er reagiert sehr besonnen und schwört sein Volk zum Kampf gegen die russische Militäroffensive ein. Obwohl er und seine Familie um sein Leben bangen müssen, lehnt er die Sicherheit ab und bleibt bei seinem Volk, anstelle sich ausfliegen zu lassen. In seinen medialen Ansprachen gibt er den Menschen Zuversicht und Kraft. Das zeugt von Charakter und Mut, wofür er in der Welt bewundert wird. Auch ich rechne ihm diese Haltung hoch an und zolle dem Präsidenten dafür uneingeschränkten Respekt. 

 

Jedoch sollten bei allen Sympathiebekundungen für Wolodymyr Selensky und ich gebe zu, auch auf mich macht er "mächtig" Eindruck, wichtige Fakten nicht außer Acht gelassen werden. Schnell erstickt der Wunsch nach Heldentum jegliche Neutralität. Es sei nämlich darauf hinzuweisen, dass seine Wahl nur mit Hilfe eines skrupellosen Oligarchen gewonnen wurde. Der reichste und gefürchtetste Geschäftsmann der Ukraine, Ihor Kolomoisky, dessen Imperium aus Banken, Industrie- firmen, Fluglinien und Medien bestand, konnte den Wahlkampf für seinen damaligen Schauspieler und späteren Präsidentschaftskandidaten im eigenen Medien- unternehmen entsprechend steuern.

 

Mit seinem Geld finanzierte dieser als Gouverneur in der Region Dnipro die Freiwilligenbataillone "Dnipro"/" Asow" und baute sie auf. Für jeden gefangenen Russen bot er seinen Männern 10.000 Dollar an. Somit blieb Dnipro unter ukrainischer Kontrolle, anders als Lugansk oder Donezk und Kolomoisky wurde von vielen als Held gefeiert. Allerdings hielt der Heldenstatus nicht lange, denn er wurde nicht nur verdächtigt einen Mord an einem Anwalt in Auftrag gegeben zu haben, sondern hinterließ in seiner eigenen Bank eine fünf Milliarden Dollar Fehlsumme. Laut Medienberichten lebt der Unterstützer von Selensky mit israeli- schem Pass in Israel, da das Land seine Bürger nicht ausliefert. Ermittlungen der Ukraine, der Schweiz und den USA liegen gegen ihn vor. Wenn ich mir nun vorstelle, dass ein derart krimineller Gehilfe sich des Staatsoberhauptes "Dankbarkeit" wahrscheinlich sicher sein kann, dann bröckelt mein Bild des Helden Selensky doch erheblich. 

 

Natürlich sind ähnliche Vorgehensweisen auch in Moskau an der Tagesordnung und die "KGB Methoden" eines Putin schrecken ebenfalls vor beschriebenen Szenarien und schlimmeren nicht zurück. Wie viele politische Gegner oder Journalisten mussten wegen einer kritischen Berichterstattung ihr Leben lassen, wie viele Oppositionelle sitzen in Haft oder in Arbeitslagern. Mit dem Einmarsch in die Ukraine hat sich zudem Putin jetzt auch in die Riege der Kriegsverbrecher ein-gereiht und ich hoffe inständig, dass dieser Schrecken ein baldiges Ende findet und kann den unsagbaren Schmerz der Menschen in der Ukraine nachfühlen.  

 

Wir leben in herausfordernden Zeiten und nach gut zwei Jahren Pandemie, müssen wir nun einem Krieg in Europa zusehen. Das schmerzt und macht deutlich, dass geglaubte Sicherheiten nicht mehr funktionieren. Man hat den Eindruck die Welt gerät aus ihren Fugen, was tatsächlich bewiesen ist, denn die Erdachse verlagert sich laut Wissenschaft schon seit langem. Auch die geopolitischen Machtverhältnisse verändern sich und mit ihr die Akteure auf der Weltbühne. Mit China hat sich eine, von uns zuerst belächelte Wirtschaftsmacht längst seine Pflöcke eingeschlagen. Neue Handelsrouten sind implementiert. Zahlreiche Firmen bereits aufgekauft und der wirtschaftliche Vormarsch hat hier schon längst stattgefunden.

 

Wir sollten also nicht so naiv sein und meinen, eine Abhängigkeit von Rohstofflieferungen zu China oder USA wäre problemfreier als die von Russland. China ist ebenfalls ein despotischer Staat und die USA sind zwar demokratisch regiert, aber verfolgen als größter Erdgaslieferant ohnehin ihre eigenen Strategien. Über die Gewinnung von Gas und Öl durch das "Fracking" wollen wir besser nicht reden. Überdies besagt schon die alte Kaufmannsweisheit, sich nie nur von einem Lieferanten, Kunden, Händler abhängig zu machen, sondern seine Aufträge auf viele zu verteilen. Wie wäre es, sich seinen europäischen Stärken mehr zu besinnen. Der Forschergeist, die Kunst Transport- und Handelswege zu erschließen, die Wissenschaft, um nur einige zu nennen. Auch wenn die neue Seidenstraße schon unter anderer Flagge bald ins Leben gerufen wird, kann ein zukunftsfähiger Pioniergeist uns Europäer umwehen. Immerhin gehören  23% von Russland zu Europa und möge Russland das bewusst werden und wir dies nie vergessen ... Helden und Feindbilder sind nämlich schnell geboren ... 

 

Vielleicht wird es unter einer neuen Regierung in Russland wieder wichtige Annäherungen geben. Aber zuerst muss der Krieg enden!!!

 

 

Text: Karin Biela 

Bild: The Triumph of Aemilius Paulus by Carle Vernet, 1789 CE, Metropolitan Museum of Art, New York.

 

Quelle: Süddeutsche Zeitung 

https://www.sueddeutsche.de/politik/kolomoisky-praesidentschaftswahl-in-der-ukraine-selensky-1.4418172

https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-wahl-ergebnis-wolodymyr-selensky-1.4416812

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